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2016 – Stadt hören

2016 – Stadt hören

Der Tag gegen Lärm 2016 befasst sich mit dem Thema „Stadt hören“ und findet am 27. April 2016 statt. Im Mittelpunkt stehen die akustischen Bedingungen des öffentlichen Raums (Plätze, Parks und Strassenraum), sowie dessen Verbesserungsmöglichkeiten.

Medienmitteilung

Urbane Hörbeispiele

Der öffentliche Raum wird immer stärker belebt und genutzt. Wir tun gut daran, neben dem optischen auch das akustische Erscheinungsbild unserer Umgebung zu pflegen. Denn die akustische Raumqualität beeinflusst uns in der Standortwahl für Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Sie bestimmt, wie lange wir an einem Ort verweilen und wirkt direkt auf unsere Befindlichkeit. Die Gebäudefassaden und -dächer, der Stadtboden sowie das Gelände wirken mit ihren reflektierenden Oberflächen, Massen und Hohlräumen zusammen und erzeugen den hörbaren akustischen Raum. Damit ist jede Fassade, jedes Gebäude, jeder Bodenbelag für die akustische Qualität des öffentlichen Raums direkt verantwortlich. Jede Veränderung an Baumaterialien und Gebäuden bietet daher Chancen, mit stadtplanerischen, architektonischen und gestalterischen Überlegungen die Klangqualität im öffentlichen Raum zu verbessern.

Die nachfolgenden Beispiele zeigen exemplarisch Hörräume, die innerhalb eines städtischen Kontexts bestimmte akustische Qualitäten aufweisen. Die Klangqualität kann auf einem Foto nicht abschliessend gezeigt und auch nicht beurteilt werden. Vielmehr wird empfohlen, die Klangqualität direkt vor Ort nachzuvollziehen und zu erleben – beispielsweise im Rahmen eines Klangspaziergangs am Tag gegen Lärm 2016 zu dem Sie herzlich eingeladen sind!

Wegweiser Stadt hören

Wir „sehen“ die Stadt auch mit den Ohren

Zwar meinen wir Menschen häufig, die visuelle Wahrnehmung sei der effektivste unserer fünf Sinne. Doch der Hörsinn ist der differenzierteste. Er ist sensibler, genauer und auch leistungsfähiger als das Auge. Akustische Reize – also auch Lärm oder Klang im öffentlichen Raum – haben beim Empfänger eine starke emotionale Wirkung. Darum muss der öffentliche Raum akustisch aktiv gestaltet werden – was leider noch viel zu selten geschieht. Das ist eigentlich erstaunlich, da Lärm in einer Stadt ganz oben auf der Liste der diskutierten Themen steht. Im Gegensatz zum Visuellen wird der Klang im öffentlichen Raum oft dem Zufall überlassen.

Ein urbaner Klangspaziergang in 6 Etappen

Der Wegweiser Stadt hören zeigt anhand von einem Beispiel auf, wie ein urbaner Klangspaziergang aussehen bzw. klingen könnte. Er kann Ihnen als Orientierungshilfe dienen, wenn Sie die Akustik der öffentlichen Räume in Ihrer Umgebung selbständig erkunden möchten. Dazu müssen Sie sich nicht zwingend auf einen mehrstündigen Klangspaziergang begeben. Auch öffentliche Räume, an denen Sie sich regelmässig aufhalten – sei es auf dem Weg zur Arbeit oder beim Einkaufen –, lassen sich akustisch immer wieder neu entdecken. Um vom „Stadt sehen“ zum „Stadt hören“ zu wechseln, müssen Sie nur die Augen schliessen. Je nach Witterung, Tages- oder Jahreszeit präsentiert sich ein Ort auch akustisch immer wieder von einer anderen Seite.

Tipp: Die Hörproben des folgenden Klangspaziergangs wurden mit einem Kopfmikrofon aufgenommen. Um die akustische Orientierung möglichst realitätsnah mitzuerleben, verwenden Sie beim Abhören am besten Kopfhörer anstelle von Lautsprechern.

1. Zwischenstopp: Die Bahnhofshalle als Tor zum urbanen Klang

Wir beginnen unseren Klangspaziergang am Bahnhof. Bahnhöfe sind oft das Tor zum urbanen Klang. Um ungehindert durch die Menschenmassen zu navigieren, verlassen wir uns auf dem Weg vom Perron ins Bahnhofsinnere auf unsere visuelle Wahrnehmung. In der Bahnhofshalle machen wir den ersten Halt. Damit unsere Aufmerksamkeit vom visuellen auf das akustische gelenkt wird, schliessen wir die Augen und versuchen uns im urbanen Klang zurecht zu finden:

Wir hören ein Meer von Stimmen. Auf Steinboden und Asphalt klingen die Tritte der Menschen unterschiedlich. Auch Transportgeräusche von Gepäck und Material sind klar erkennbar. Die ein- und ausfahrenden Züge und der Verkehrslärm vom Bahnhofplatz sind hier nur leise im Hintergrund zu hören. Sie vermischen sich mit dem Klang aus dem Innenraum der Bahnhofshalle zu einem vielseitigen Gesamtklang.

2. Zwischenstopp: Der Park als Höraussichtspunkt

Wir verlassen die Bahnhofshalle. In der unmittelbaren Umgebung des Bahnhofs hören wir hauptsächlich den hier allgegenwärtigen Verkehrslärm. Wir gehen weiter und erreichen nach wenigen Gehminuten einen Park auf einer Anhöhe. Die Bäume und der Kiesboden laden sowohl visuell als auch akustisch zum Verweilen ein. Uns interessiert hauptsächlich eine Stelle am Rande des Parks. Von dort aus sieht man hinunter auf den Fluss und auf die Stadt. Dieser Ort dient sowohl als Aussichts- als auch Höraussichtspunkt. Während wir uns auf die kniehohe Umfassungsmauer zubewegen, lauschen wir den Klängen von nah und fern:

Der Raum ist erfüllt von einer Vielzahl von Klängen. Die Polizeisirene, die mit steigendem Pegel aus der Ferne erklingt, verunmöglicht die verschiedenen Klänge einer exakten Quelle zuzuordnen. Während wir uns auf den Rand des Parks zubewegen, verursachen wir auch selbst Geräusche. Unsere Schritte und das Reiben eines offenen Reissverschlusses vermischen sich mit dem Klang der Stadt. Sowie wir zur Umfassungsmauer gelangen, erreicht auch die Lautstärke der Sirene ihren Höhepunkt. Nur über das Gehör ist es nun ziemlich genau möglich, die Fahrt des Polizeiautos durch die Stadt nachzuvollziehen. Während die Sirene langsam verstummt, kommen die einzelnen Klangquellen wieder zum Vorschein. Die Stimmen und die Schritte der Parkbesucher, das Plätschern eines Brunnens, Vögel, ein Tram und eine Kirchenglocke sind von nah und fern zu hören.

3. Zwischenstopp: Die Kreuzung als akustischer Tiefpunkt

Vom Höraussichtpunkt aus bewegen wir uns zu einer stark frequentierten Kreuzung der Stadt. Dort angelangt stehen wir, von Strassen umringt, an einem akustischen Tiefpunkt unseres Klangspaziergangs:

Die Autokolonnen ziehen an uns vorbei. Sie werden von der Lichtsignalanlage choreografiert. Nur Dank ihr ist der Lärm nicht ununterbrochen rund um uns herum präsent. Dies erlaubt es uns die Klangbewegungen auf der Kreuzung zu erkennen. Zusätzlich fahren die Autos beim Abbiegen nur mit einer tiefen Geschwindigkeit. Diese zwei Faktoren verbessern die Klangatmosphäre auf der Kreuzung ein wenig – was hauptsächlich den Wartenden an der Tramhaltestelle hinter uns zugutekommt.

4. Zwischenstopp: Zwei akustische Störenfriede in der Gasse

Wir verlassen die stark befahrene Kreuzung und setzen unseren Spaziergang in der Altstadt fort. Die engen Gassen lassen nur sehr wenig Lärm von aussen eindringen und bilden somit einen beinahe eigenständigen Klangraum. Wir bleiben ein weiteres mal stehen, um diesen neuen Raum akustisch zu erfassen:

Er ist erfüllt von Stimmen. Zu unserem Bedauern werden sie aber auch hier zunehmend von Motorenlärm übertönt. Ein Taxi fährt heran und bleibt hinter einem parkierten Lieferwagen stehen. Nun ertönt auch der Motor des Lieferwagens und die beiden akustischen Störenfriede beginnen sich von uns wegzubewegen. Obwohl sie langsam aus unserem Blickfeld verschwinden, tragen die Häuserwände der schnurgeraden Gasse noch lange ein tieffrequenziges Brummen hinein in unser Hörfeld. Im restlichen Klangraum erklingen nun wieder die Stimmen der Passanten, die an uns vorbeigehen. Auch den Trittschall auf den Pflastersteinen nehmen wir nun deutlich wahr. Zum Schluss, wenn der Lärm der beiden Fahrzeuge fast verstummt ist, dringen sogar die Stimmen aus dem Inneren der Läden zu uns auf die Gasse.

5. Zwischenstopp: Der Brunnen als Treffpunkt

Wir spazieren weiter. Nach einer Weile öffnet sich die Gasse. Ein kleiner Platz kommt zum Vorschein. Mehrere Touristengruppen stehen vor einem Brunnen und unterhalten sich. Stets mit dem Ziel auch diesen Teil der Stadt nicht nur gesehen, sondern auch gehört zu haben, bewegen wir uns langsam in Richtung Brunnen:

Wir hören die Stimmen und das Lachen der Menschen. In Kombination mit dem Plätschern des Brunnens entsteht eine angenehme Atmosphäre, die hier wohl fast den ganzen Tag anzutreffen ist. Auch vereinzelte Klänge der Stadt sind im Hintergrund zu vernehmen. Bevor wir unseren Spaziergang fortsetzen bleiben wir für einen Moment links neben dem Brunnen stehen und hören ihm etwas genauer zu.

6. Zwischenstopp: Ein neuer Platz als Chance zur Klangraumgestaltung

Am Ende unseres Klangspaziergangs erreichen wir wieder den Bahnhof. Dieses Mal von der Rückseite, wo gerade ein neuer Platz entsteht. Dies ist eine gute Stelle, um sich noch einmal bewusst zu werden, dass durch den Umbau dieses Platzes nicht nur eine visuelle, sondern auch eine akustische Gestaltung des öffentlichen Raumes vorgenommen wird. Ein vorläufiges Urteil über die zukünftige Klangqualität des Platzes kann dank den fortgeschrittenen Bauarbeiten bereits jetzt gefällt werden:

Die Ausführung des Bodens ist entscheidend für die Beurteilung der Klangqualität. Der monotone und sehr glatte Sichtbetonboden trägt den Verkehrslärm der angrenzenden Kreuzung über den Platz. Am Treppenabgang und an der Häuserwand hinter dem Platz wird er reflektiert und zurück auf den Platz geworfen. Die geschwungenen Spalten, die in den Betonboden geschnitten wurden, unterstützen die Besucher nur bei der visuellen Orientierung. Einen positiven Einfluss auf die akustische Orientierung hätten poröse Oberflächen. Im Gegensatz zum Beton absorbieren sie einen Teil der auftreffenden Schallanteile. Genau solche Oberflächen sind zum Teil noch auf der Baustelle zu finden. Sie werden aber bis zur Vollendung des Platzes wohl auch noch verschwinden. Obwohl der Platz nur einseitig an die Strasse grenzt ist der Verkehrslärm allgegenwärtig. Ein Eigenklang des Platzes, der die Situation ein wenig entschärfen würde, ist leider nicht zu hören.