Lärm stört und macht krank. Besonders in der Nacht fühlen sich immer mehr Menschen durch unnötigen Motorenlärm belästigt. Wie Luftverschmutzung und toxische Chemikalien ist auch die Lärmbelastung eine umweltbedingte Gesundheitsgefahr. Flug-, Schienen- und Strassenverkehrslärm erhöhen das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.
Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass Lärm einen bedeutenden Stressfaktor darstellt, der auf den gesamten Organismus wirkt. Laute, ungewohnte Geräusche waren zu Urzeiten ein Zeichen für Gefahr. Der Körper wird deshalb bei Lärm in Alarmbereitschaft versetzt und bereitet sich auf Flucht vor. Heute sind unser Leben und die Rahmenbedingungen zwar anders, doch unser Körper reagiert bei Lärm immer noch gleich: Stresshormone werden ausgeschüttet, Blutdruck sowie Herz- und Atemfrequenz steigen. Trotz subjektiv gegenteiligem Eindruck: unser Körper gewöhnt sich nicht an Lärm.
Schlafstörungen durch Lärm
Schlafen ist kein Luxus. Ausreichend ungestörter Schlaf – vorzugsweise nachts – ist eine wichtige Grundlage für Gesundheit und Lebensqualität. Durch übermässigen Lärm wird der Schlaf sowohl quantitativ als auch qualitativ beeinträchtigt. In verschiedenen Forschungsarbeiten 1 wird nächtliche Lärmbelastung eindeutig mit gesundheitlichen Schäden in Verbindung gebracht. Während im Verlauf des Tages Verkehrslärm durch die erhöhte Hintergrundlärmbelastung eher erträglich erscheint, wird die Störung der Nachtruhe gemeinhin als wichtigstes Lärmproblem überhaupt angesehen. Der WHO-Report „Burden of disease from environmental noise“2 von 2011, kommt zum Schluss, dass lärminduzierte Schlafstörungen den grössten Teil der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Lärm ausmachen, wobei in Westeuropa jedes Jahr mehr als 900’000 beschwerdefreie Lebensjahre (DALY) durch Nachtlärm verloren gehen. In der Schweiz fühlen sich gemäss einer Hochrechnung von Daten der SIRENE-Studie 3 ca. 500’000 Personen durch Verkehrslärm (Strassen-, Bahn-, und Fluglärm) in ihrem Schlaf gestört. Für die Schweiz geht eine aktuelle Schätzung von etwa 450 Todesfällen pro Jahr durch Strassenverkehrslärm aus. Das entspricht etwa doppelt so vielen Todesfällen wie bei Strassenverkehrsunfällen. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Todesfälle geht wahrscheinlich auf die Belastung in der Nacht zurück. Wenn Lärmbetroffene gefragt werden, zu welchen Zeiten es besonders ruhig in ihrem Wohngebiet sein sollte, geben sie in der Regel zuerst die Nacht an, gefolgt vom Abend. Grundsätzlich kann man für alle möglichen Auswirkungen von Lärm sagen, dass der Mensch in der Nacht etwa 10 Dezibel empfindlicher für Lärm ist als am Tag (10 dB entspricht im Übrigen etwa einer wahrgenommenen Verdoppelung der Lautstärke). In der Schweiz liegt der Immissionsgrenzwert für Verkehrslärm in der Nacht zwischen 45 Dezibel (Empfindlichkeitsstufe 1) und 60 Dezibel (Empfindlichkeitsstufe 4). Am Tag sind die Grenzwerte folglich 10 Dezibel höher. Knapp ein Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt in Gebieten, in denen der Grenzwert in der Nacht oder am Tag überschritten wird.
Empfindlichkeitsstufe (ES) | Planungswert (PW) in dB(A) | Immissionsgrenzwert (IGW) in dB(A) | Alarmwert (AW) in dB(A) |
---|---|---|---|
I Erholung | Tag: 50 Nacht: 40 | Tag: 55 Nacht: 45 | Tag: 65 Nacht: 60 |
II Wohnen | Tag: 55 Nacht: 45 | Tag: 60 Nacht: 50 | Tag: 70 Nacht: 65 |
III Wohnen/Gewerbe | Tag: 60 Nacht: 50 | Tag: 65 Nacht: 55 | Tag: 70 Nacht: 65 |
IV Industrie | Tag: 65 Nacht: 55 | Tag: 70 Nacht: 60 | Tag: 75 Nacht: 70 |
Einzelereignisse sind besonders störend
Kontinuierliche Geräusche, z.B. das Rauschen einer fernen Autobahn, können den Schlaf beeinträchtigen, jedoch sind es v.a. ausgeprägte Einzelereignisse, wie die Vorbeifahrt eines lauten Autos oder Motorrads, die zu Aufwach- und anderen unerwünschten Reaktionen während des Schlafs führen (bspw. Veränderungen der Schlaftiefe). Entscheidend für die Wirkung solcher Einzelereignisse sind zum einen die maximale Lautstärke des Ereignisses und zum anderen wie schnell die Lautstärke ansteigt. Zahlreiche Feld- und Laborstudien haben diese Effekte gezeigt. Dabei hat man herausgefunden, dass es keine natürlichen Schwellenwerte gibt, unterhalb derer gar keine Reaktionen mehr vorkommen können. Jede Verminderung der Lautstärke, und sei diese noch so gering, kann daher zu einer Verminderung unerwünschter Störungen des Schlafes beitragen.
Mehr Rücksichtnahme nachts
Laute Motorräder und andere laute Fahrzeuge sind ein Dauerbrenner. Dabei kommt es hauptsächlich auf den Menschen an, der im Sattel bzw. hinter dem Steuer sitzt. Bei Lärmemissionen von Motorfahrzeugen spielt das eigene Fahrverhalten eine entscheidende Rolle. Hohe Drehzahlen beim Fahren in niedrigen Gängen, zu schnelles Beschleunigen, fortgesetztes unnötiges Herumfahren in Ortschaften oder gar lärmsteigerndes Tuning am Fahrzeug verursachen vermeidbaren Lärm, was von Gesetzes wegen verboten ist (Art. 33 VRV, Art. 53 VTS). Das Vergnügen nach einem lauten Auftritt einer Einzelperson wird so über das Ruhebedürfnis von vielen gestellt. Durch eine umweltschonende und rücksichtsvolle Fahrweise mit tiefen Drehzahlen kann viel unnötiger Motorenlärm verhindert werden. Gerade an lärmsensiblen Orten und zu lärmsensiblen Zeiten ist Rücksicht angesagt.
Gesetzliche Grundlagen
- Artikel 33 der Verkehrsregelnverordnung (VRV) definiert, dass Fahrzeugführer, Mitfahrende und Hilfspersonen, namentlich in Wohn- und Erholungsgebieten und nachts, keinen vermeidbaren Lärm erzeugen dürfen. Dazu gehören unter anderem hohe Drehzahlen des Motors im Leerlauf, zu schnelles Beschleunigen, das Fahren in niederen Gängen oder fortgesetztes unnötiges Herumfahren in Ortschaften.
- Die Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS) reglementiert den Ausrüstungslärm. Die Vorschriften erfordern insbesondere den Gebrauch von Schalldämpfern, um den Auspufflärm zu begrenzen (Art. 53). Die Manipulation der Auspuffklappe ist auch geregelt: «Unnötige lärmsteigernde Eingriffe am Fahrzeug und an dessen genehmigten Bauteilen sind untersagt, selbst wenn die zulässige Geräuschgrenze eingehalten bleibt».
Tempo 30 bringt’s
Ein Versuch 2018 in der Stadt Zürich5 hat gezeigt, dass «Tempo 30 nachts» zu einer wahrnehmbaren Lärmreduktion von 1 bis 3 Dezibel führt, 3 Dezibel weniger entsprechen einer Halbierung des Verkehrs. Noch deutlicher nahmen die Maximalpegel von einzelnen vorbeifahrenden Fahrzeugen ab. Die Spitzenwerte des Lärms konnten damit deutlich reduziert werden. Dies ist besonders wichtig für die Qualität des Schlafes, da vor allem laute Einzelereignisse zu Aufwachreaktionen führen. Temporeduktionen in der Nacht tragen somit dazu bei, die Bevölkerung in den sensiblen Nachtstunden besser vor Lärm zu schützen. Die Erhebungen haben ergeben, dass die Temporeduktion keine negativen Auswirkungen auf den Verkehrsablauf hat – auch nicht auf den öffentlichen Verkehr. Die Geschwindigkeitsreduktion und deren positive Auswirkung wurden auch von den Anwohnerinnen und Anwohnern wahrgenommen.
Vergleichbare Resultate lieferte auch ein Pilotprojekt, das 2017 in Lausanne6 startete. Die Stadt hat gemeinsam mit dem Kanton Waadt zwischen Mai 2017 und Juni 2019 auf zwei wichtigen Verkehrsachsen versuchsweise Tempo 30 zwischen 22 und 6 Uhr eingeführt. Auf nächsten März sollte die Massnahme nun definitiv gelten – und zwar flächendeckend auf 80 Prozent aller Strassen. Es handelt sich aber nicht um eigentliche Tempo-30-Zonen, sondern um Abschnitte mit Tempo 30 mit einem Signal nach jeder Kreuzung. Stadt und Kanton stehen dahinter, auf politischer Ebene ist die Massnahme aber noch nicht von allen Seiten abgesegnet.
Die wichtigsten Resultate aus der Lausanne-Studie:
- Signifikante Verringerung des durchschnittlichen Strassenlärms um 2 bis 3 Dezibel.
- Besonders wichtig: Reduktion der maximalen Lärmspitzen (mehr als 70 Dezibel) um bis zu 80 Prozent.
- Überhöhte Geschwindigkeiten haben drastisch abgenommen, auch die Durchschnittsgeschwindigkeit tagsüber ging zurück.
- Die Geräuschwahrnehmung der Anwohner ging um 3 Dezibel zurück, gefühlt sind das 50 Prozent weniger Verkehr.
- Signifikant positive Auswirkung auf die Lebensqualität.
- Die Massnahme in der Nacht betrifft nur 10 Prozent des gesamten Verkehrs.
- 65’000 Personen entlang von Kantonsstrassen könnten in Lausanne profitieren.
Lausanne – Tempo 30 auf der Avenue de Beaulieu et Vinet, Technischer Bericht (FR, PDF)
Tempo 30 nachts ist nicht die einzige Lösung, um Nachtlärm zu reduzieren, aber sicher eine sehr wirkungsvolle, günstige und schnell umsetzbare Massnahme.
Lärm kostet
Verkehrslärm verursachte im Jahr 2016 in der Schweiz externe Kosten von rund 2’667 Millionen Franken 7. Diese setzen sich aus Gesundheitskosten und Wertverlusten von Liegenschaften zusammen. Der Strassenverkehr ist für 80 Prozent dieser Kosten verantwortlich. 2016 verursachte der Verkehrslärm (Strassen-, Bahn- und Flugverkehr) Gesundheitsschäden von rund 1’470 Millionen Franken (55 Prozent). Diese körperlichen oder psychischen Krankheiten entstehen meist durch mittel- bis langfristige Lärmbelastungen. Berücksichtigt sind dabei unter anderem folgende Kosten: Behandlungskosten; Produktionsausfälle, Wiederbesetzungskosten; immaterielle Kosten (Verminderung der Lebensqualität). Die restlichen rund 1’197 Millionen Franken (45 Prozent) der berechneten Lärmkosten entfallen auf Wertverluste von Immobilien.